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Wissenswert: Digitale Demokratie

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Fünf Wochen haben die Inder seit Montag Zeit, Abgeordnete für das Unterhaus im indischen Parlament, die Lok Sabha, zu wählen. In der größten Demokratie der Welt ist so eine Wahl jedoch eine logistische Herausforderung. Über 800 Millionen Inder sind wahlberechtigt – das sind mehr Wähler, als die EU, die USA und Russland zusammen an Wählern haben. Um die Wahl in den knapp 900 000 Wahllokalen möglichst schnell und einfach abzuwickeln, setzen die Wähler keine Kreuzchen auf Stimmzetteln, sondern wählen elektronisch auf dem Wahlcomputer.

Vor den Wahllokalen gibt es lange Schlange. Kein Wunder: An neun Wahltagen wählen knapp 815 Millionen Inder ein neues Parlament. Quelle: flickr.com/aljazeeraenglish und Teaserbild: flickr.com/fabnie

Vor den Wahllokalen gibt es lange Schlange. Kein Wunder: Knapp 815 Millionen Inder wählen ein neues Parlament. Foto: flickr.com/aljazeeraenglish und Teaserbild: flickr.com/fabnie

Dieser sieht aus wie ein großer Taschenrechner, auf dem am linken Rand die Namen der Kandidaten in den wichtigsten Sprachen und Schriften des jeweiligen Wahlkreises stehen. Außerdem stehen neben den Namen auch die jeweiligen Parteisymbole, wie beispielsweise eine Hand für die Kongresspartei, denn 37 Prozent aller erwachsenen Analphabeten weltweit leben in Indien. Rechts neben den Kandidaten befindet sich jeweils ein Knopf, mit dem die Wähler dann ihre Stimme abgeben können. Ein elektronischer Zähler außerhalb der Wahlkabine zählt die abgegebenen Stimmen. Die Wahl geht so zwar sehr schnell und einfach, jedoch können die Wahlmaschinen ebenso leicht manipuliert werden.

Computer sind binnen weniger Minuten manipulierbar

Bereits 2010 hatten IT-Experten herausgefunden, dass die Wahlcomputer binnen weniger Minuten manipuliert werden können. Grund dafür ist die oft überwiegend veraltete und vor allem simple Software der Wahlcomputer, die aus den 1980er Jahren stammen. Hacker können beispielsweise die Anzeige im Zähler austauschen, die das Stimmergebnis darstellt. So werden die Ergebnisse immer im Sinne eines Kandidaten falsch dargestellt. Um nicht schon bei Tests vor den Wahlen aufzufallen, die die Wahlkommission durchführt, um die Computer auf Manipulationen zu überprüfen, kann die Anzeige mit einer Smartphone-App gesteuert werden.

Eine zweite Manipulations-Möglichkeit ist, einen Chip an den Speicher des Wahlcomputers zu klammern. Ein Programm wertet die Ergebnisse aus und berechnet, wie die Stimmen umgeschichtet werden müssten, um einen bestimmten Kandidaten gewinnen zu lassen. Dann überschreibt das Programm den Speicher entsprechend. Die Forscher gehen davon aus, dass Millionen Inder das Wissen hätten, die Wahlcomputer auf diese Weise zu manipulieren.  

Die indische Wahlkommission bestreitet, dass eine solche Manipulation der Geräte möglich ist, denn vor der Wahl werden die knapp zwei Millionen Computer an zentralen Orten gesammelt, getestet, versiegelt und anschließend per Zufall an die Wahllokale verteilt. Auch die Reihenfolge der Kandidaten auf der Anzeige des Computers ist zufällig. Zwischen den neun Wahltagen werden die Wahlmaschinen dann wieder eingesammelt und bewacht. Experten gehen jedoch davon aus, dass die Sicherheitsvorkehrungen für die Wahlcomputer einfach zu umgehen sind.

Wahlmaschinen in Deutschland bis 2005 im Einsatz

Auch in Deutschland waren Wahlmaschinen bis einschließlich der Bundestagswahl 2005 im Einsatz. Diese sahen zwar anders aus und waren moderner als die in Indien, allerdings ist das Prinzip dasselbe: Wähler gebe ihre Stimme elektronisch ab und diese wird lediglich im Computer gespeichert. 2009 hat das Bundesverfassungsgericht den Einsatz von Wahlcomputern deshalb als verfassungswidrig erklärt. Die Richter führten dafür die Begründung an, dass jeder Wähler die Möglichkeit haben muss, das Zustandekommen des Wahlergebnisses zu überprüfen, ohne dafür über technisches Experten-Wissen zu verfügen. Und dies geht am besten anhand von Stimmzetteln, die bei einer Anfechtung nachgezählt werden können.

Die Wahlcomputer sind vor allem eines: leicht zu bedienen. Quelle: flickr.com/vemana

Die Wahlcomputer sind vor allem eines: leicht zu bedienen. Foto: flickr.com/vemana

Gerade große Demokratien wie die USA, Brasilien und Indien benutzen die Wahlcomputer gerne, aus Gründen der Schnelligkeit. Doch mittlerweile ist auch in den USA, die ein Verfechter der Wahlcomputer waren, ein rückläufiger Trend im Gebrauch der Computer zu erkennen. Immer wieder hatte es Probleme gegeben, beispielsweise waren die Maschinen wegen eines Defekts ausgefallen oder Stimmen plötzlich komplett verschwunden. Immer mehr amerikanische Staaten kehren wegen der schlechten Erfahrungen zur Papierwahl zurück.

Auch in Indien regt sich Widerstand gegen die Nutzung von Wahlmaschinen. Zwei indische Gerichte haben 2011 und 2012 der Wahlkommission den Auftrag gegeben, etwas gegen die mögliche Manipulation zu unternehmen. Seitdem arbeitet die Kommission an einer Papierspur, die an die Wahlcomputer angeschlossen werden soll und die jede Stimmabgabe auf einem Zettel ausdruckt. Bei dieser Wahl wird das jedoch noch keine Rolle spielen, denn nur wenige tausend der insgesamt zwei Millionen Wahlcomputer haben bisher solch eine Papierspur.


Wo Studenten von der EU profitieren

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 Ob Gurkenverordnung, Glühlampenverbot oder Staubsaugerregulierung – der Europäische Union wird oft ein Regulierungswahn und eine Entmündigungspolitik vorgeworfen. Europa-Kritik steht deshalb im Zentrum vor der Wahl des Europa-Parlaments am kommenden Sonntag, 25. Mai. Selbst die Parteien machen am liebsten klar, was sie von der EU nicht wollen oder was die EU nicht leistet. Dabei gibt es in der EU neben Schwarz- und Grau- auch Weißtöne. Etwa im Engagement der EU für Bildung und Wissenschaft. Davon profitieren nicht zuletzt die Studenten.

Foto: farblos/pixelio.de

“EU-Bashing” ist zu einem Volkssport geworden. Die positiven Seiten der EU werden dabei gerne verschwiegen. Auch Studenten profitieren von ihr. Foto: farblos/pixelio.de

Fast jeder Student kennt das Austauschprogramm “Erasmus”, das seit seiner Aufwertung “Erasmus+” heißt. Darunter werden jetzt alle Austausch- und Fortbildungsprogramme der EU zusammengefasst. Hierbei fördert die EU Studienaufenthalte im Ausland, Auslandspraktika im Rahmen des Studiums, Lehraufenthalte sowie Fortbildung von allgemeinem Hochschulpersonal. „Für die Zukunft wollen wir außerdem eine bessere Anerkennung der im Ausland erbrachten Studien- und Prüfungsleistungen erreichen“, sagt Dr. Renate Sommer, EU-Parlamentarierin der CDU. „Um den Studierenden die Entscheidung für eine ausländische Hochschule zu erleichtern, wollen wir ein Güte-Siegel für besonders vorbildliche Einrichtungen.“

Anerkennung von Studienleistungen als Leistung der EU

Stella Tutunzi, Mitarbeiterin der Grünen-EU-Parlamentarierin Helga Trüpel, ergänzt, dass die europaweite Anerkennung der Studienleistungen und -abschlüsse ebenfalls eine Leistung der EU sei: „Hierzu größtenteils beigetragen hat der Bologna-Prozess. Aber auch Instrumente wie der Europäische Qualifikationsrahmen und der Europass spielen eine Rolle, um Abschlüsse europaweit vergleichbarer zu machen und somit die Mobilität zu erleichtern.“

Neu bei “Erasmus+” ist unter anderem, dass jeder Student als Erasmus-Stipendiat pro Studienabschnitt 12 Monate im Ausland verbringen darf. Im Extremfall wären also je einjährige Auslandsaufenthalte im Bachelor, Master und bei der Promotion möglich. Ebenfalls neu ist, dass sich Master-Studenten für ein Darlehen-Programm bewerben können. Bis zu 18.000 Euro Förderung für zwei Jahre sind möglich. „So können Master-Studierende ihren kompletten Abschluss im Ausland finanzieren“, erklärt Sommer.

Universität Salzburg (PR)

Durch “Erasmus+” ermöglicht die EU den Studeneten Auslandsaufenthalte. Foto: Universität Salzburg (PR)

Die EU lässt sich “Erasmus+” 14,5 Milliarden kosten

Allein vom 1. Juli 2013 bis zum 30. September diesen Jahres fließen rund 50,7 Millionen Euro in das Erasmus-Programm an deutschen Universitäten. Unter anderem 251.322 Euro an die TU Dortmund, 116.214 Euro an die FH Dortmund und 616.363 Euro an die Ruhr-Universität Bochum. Die EU lässt sich “Erasmus+” also einiges kosten: Insgesamt stellt sie für die Laufzeit des Projekts (2014 bis 2020) 14,5 Milliarden Euro bereit. Dafür wurde der Etat um 40 Prozent erhöht. 

Während “Erasmus+” die Mobilität europäischer Studenten fördert, soll von dem Projekt “Horizont 2020” vor allem die Wissenschaft profitieren. 70 Milliarden Euro stehen für den Nachfolger des 7. Forschungsrahmenprogramms zur Verfügung, auch dieses Programm läuft von 2014 bis 2020. Bei “Horizont 2020″ werden alle Förderprogramme der EU-Kommission zusammengeführt, die sich mit Forschung und Innovationsprojekten befassen. „Gerade für Hochschulen sollen vereinfachte Regelungen und Verfahren für die Antragstellung gelten“, erklärt Petra Kammerevert, die für die SPD im Europa-Parlament Bildungspolitik macht. „Ich bin davon überzeugt, dass das Programm spürbar helfen kann, die Forschungsarbeit an deutschen Universitäten und Hochschuleinrichtungen zu vertiefen und zu verbreitern.“

Auch Ruhrgebiets-Unis profitieren von Förderprogrammen

Wie die Hochschulen des Ruhrgebiets von den Förderprogrammen profitieren, zeigt das Beispiel der Ruhr-Universität Bochum: Laut Dr. Patrick Schulte, EU-Referent der RUB, werden aktuell 40 Forschungsprojekte an der RUB durch EU-Drittmittel gefördert; davon 36 Kooperationsprojekte und vier Einzelförderungen, sogenannte ERC-Grants. Laut Statistik- und Informationsportal der RUB flossen etwa 2012 EU-Fördergelder in Höhe von 10,6 Millionen Euro nach Bochum – immerhin knapp zehn Prozent der Gesamt-Drittmittel der Uni.

Foto: Michael Bührke/pixelio.de

Durch das Programm “Horizon 2020″ profitiert auch die universitäre Forschung von der EU. Foto: Michael Bührke/pixelio.de

Mit EU-Geldern geförderte Projekte gibt es auch an der TU Dortmund, etwa am Institut für Transportlogistik (ITL). Professor Doktor Uwe Clausen führt hier das Projekt „news“ durch, in dessen Rahmen auch eine Master-Arbeit entsteht. “‘news‘ beschäftigt sich mit Innovationen für die Binnenschifffahrt, insbesondere für die Donau. Das ITL der TU Dortmund ist hier neben der TU Wien und anderen Partnern aktiv“, so Clausen.

Unterstützung können theoretisch alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der TU vom EU-Büro der Universität erhalten. „Wir sind die Nahtstelle zwischen den Projektpartnern, den Fakultäten, der Verwaltung und der EU-Kommission“, erklärt die Leiterin der EU-Büros, Dorota Pawlucka. Ihr Büro helfe bei der Planung der Projekte, der Antragsstellung zur Förderung, der Projektdurchführung und der abschließenden Abrechnung.

Sicherlich gibt es sie auch hier wieder, die kritischen Stimmen an den Programmen der EU. Am Beispiel von “Erasmus+” mitunter zurecht. Die Grünen-Abgeordnete Trüpel etwa nennt die Etaterhöhung auf ihrer Homepage Augenwischerei. “Nicht berücksichtigt wird die Tatsache, dass es eine Erweiterung der EU um Kroatien gab”, schreibt Trüpel. “Daher hinkt der Vergleich um die angebliche 40 Prozent Steigerung.” Im Bildungs- und Forschungsbereich gibt es also noch immer Verbesserungsbedarf. Und trotzdem: Hier zeigt die Europäische Union zumeist ihre guten Seiten – nicht zuletzt für die Studenten.

Kommentar: Darum ist die Europawahl so wichtig

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von Sebastian Zimmermann

Da sind sie schon wieder, diese Ausreden, warum keiner zur Wahl geht: Was bringt die EU denn überhaupt? Das ist doch eh nur ein Bürokratenladen, der sich mit so sinnlosen Vorschriften wie dem Glühbirnen-Verbot rumschlägt…  So ein Quatsch! Wer deshalb nicht wählen will, hat nicht verstanden, worum es geht.

Wer nicht wählen geht, darf sich anschließend auch nicht beschweren, findet Sebastian Zimmermann. Foto: M. Großmann / pixelio.de - Teaserbild: Tim Reckmann / pixelio.de

Wer nicht wählen geht, darf sich anschließend auch nicht beschweren, findet Sebastian Zimmermann. Foto: M. Großmann / pixelio.de – Teaserbild: Tim Reckmann / pixelio.de

Am Sonntag ist Europawahl. Doch kaum einer interessiert sich wirklich dafür, die Beteiligung in Deutschland bei der letzten Wahl 2009 lag gerade einmal bei 43,3 Prozent.

Das hat vor allem zwei Gründe: Zum einen ist den wenigsten überhaupt bewusst, wen sie da wählen und was für Auswirkungen die Wahl hat. Kaum einer nimmt wahr, dass das Europäische Parlament immer mehr Rechte besitzt. Und dann sind da die vielen Richtlinien und Verbote, von denen der geneigte Unions-Bürger genervt ist – zugegeben, da macht es die EU dem Wähler auch nicht gerade leicht.

Doch deshalb nicht zur Wahl zu gehen, wäre schlicht und einfach falsch. Denn dafür ist die EU viel zu wichtig! Die Europäische Union wächst immer mehr, sie umfasst mittlerweile 28 Mitgliedstaaten. Und mit ihr wachsen auch die Probleme und Herausforderungen.

Stichwort Menschenrechte: Immer mehr Flüchtlinge treibt es in die EU. Ein Abweisen dieser Menschen kann keine Lösung sein; gleichzeitig muss die EU als Gemeinschaft an diesem Problem arbeiten und nicht einzelne Länder damit alleine lassen.

Stichwort Energiewende: Wie kann die EU trotz Wirtschaftskrise auf die Umwelt Rücksicht nehmen?

Zugegeben - manchmal macht es die EU ihren Wählern auch nicht leicht. Foto: Erich Westendarp / pixelio.de

Zugegeben – manchmal macht es die EU ihren Wählern auch nicht leicht. Foto: Erich Westendarp / pixelio.de

Stichwort Freihandelsabkommen: Wie sehr braucht die EU so ein enges Abkommen mit den USA? Möchte man wirklich die Werte und Standards, die wir uns mühevoll über Jahrhunderte erkämpft haben, einfach so hergeben?

Das sind nur ein paar der Dinge, bei denen wir Bürger mitbestimmen können – aber nur, wenn wir auch zur Wahl gehen! Jeder kann mitentscheiden, wie die Politik für die halbe Milliarde Menschen in der EU aussehen soll. Und gerade deshalb braucht es eine starke Beteiligung, um klarzumachen, dass den Wählern diese Politik nicht egal ist.

Zudem bietet die Abschaffung der Drei-Prozent-Hürde noch mehr Einflussnahme auf die Politik. Der Wähler kann so ein Signal setzen: “Mit mir nicht!” Und gerade, wen Bürokratie, Glühlampen-Verbot und Co. stören, der sollte doch erst recht mit abstimmen. Wer nicht zur Wahl geht, der darf sich anschließend auch nicht beschweren. Und eins war immer schon klar: Keine Stimme ist immer eine für die Falschen.

 

Europawahl? Nein, danke.

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Abgeordnete im Europäischen Parlament

Das Europäische Parlament. Foto: flickr.com/doommeer

Wenn am 25. Mai das Europäische Parlament gewählt wird, werden voraussichtlich so viele Deutsche zu Hause bleiben wie nie zuvor. Auch in den Medien spielt der Europawahlkampf eine eher untergeordnete Rolle. Brüssel ist für viele Menschen weit weg, über die Arbeit der Parlamentarier wissen nur wenige Bescheid. Dabei wird die Mehrzahl der in Deutschland geltenden Gesetze auf europäischer Ebene beschlossen. Woran liegt es also, dass man sich hierzulande kaum für den Europawahlkampf interessiert?

Nur 43 Prozent aller wahlberechtigten Deutschen gaben bei der letzten Europawahl im Jahr 2009 ihre Stimme ab. Die Forschungsgruppe Wahlen geht davon aus, dass dieser Wert in diesem Jahr noch einmal unterboten wird. “Die Wahlbeteiligung nimmt seit Jahrzehnten kontinuierlich ab”, sagt Dr. Britta Rehder, Professorin für Politikwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum. “Seit der Jahrtausendwende ist sogar ein massiver Einbruch bei den Wählerstimmen zu verzeichnen.” Die Ursachen dafür seien vielschichtig, erklärt die Politikwissenschaftlerin. Die Menschen wüssten nicht, wie stark die Europäische Union mittlerweile ihren Alltag beeinflusst.

Das Europäische Parlament als zahnloser Tiger

Die EU wird häufig für ihre Bürokratie kritisiert, dabei sieht die Wirklichkeit ganz anders aus. Viele der Entscheidungen aus Brüssel und Straßburg regeln das alltägliche Leben eines jeden Unionsbürgers. “Es fehlt ein einheitlicher Kommunikationsapparat, der die Menschen darüber informiert, was im Europäischen Parlament genau passiert.” Das geringe Interesse liegt natürlich auch daran, dass das EU-Parlament nicht die mächtigste der europäischen Institutionen ist. Im Vergleich zu früher besitzen die Abgeordneten zwar schon deutlich mehr Mitspracherecht, doch das Initiativrecht für Gesetze liegt weiterhin bei der Europäischen Kommission. Das bedeutet, dass das Parlament keine eigenen Gesetze entwerfen, sondern nur über Gesetzesvorschläge der Europäischen Kommission abstimmen und gewisse Veränderungen vornehmen kann. Die 28 Mitglieder dieser Kommission werden wiederum von den Regierungen der Einzelstaaten bestimmt. 

Die Eingangshalle zum EU-Parlament in Straßbourg Bild: Erich Westendarp / pixelio.de

Die Eingangshalle zum EU-Parlament in Straßburg.
Bild: Erich Westendarp / pixelio.de

Fehlende Personalisierung des Wahlkampfes

“Ein weiterer Grund für das geringe Interesse an der EU-Politik ist, dass sie nicht personalisiert ist. Auf nationaler Ebene verbinden die Menschen mit den verschiedenen Parteien immer bestimmte Gesichter. Auf europäischer Ebene ist das nur selten der Fall. Immerhin kann man in diesem Wahlkampf einen ersten Schritt in die andere Richtung beobachten.” Zum ersten Mal überhaupt haben die großen Parteien Spitzenkandidaten aufgestellt, die das Amt des Kommissionspräsidenten übernehmen sollen. Für die Christdemokraten tritt der ehemalige luxemburgische Regierungschef Jean-Claude Juncker an, die Sozialdemokraten schicken den Präsidenten des EU-Parlaments, Martin Schulz, ins Rennen. Im Lissaboner Vertrag von 2007 ist geregelt, dass die stärkste Fraktion im Europaparlament den Kommissionspräsidenten vorschlagen darf. Die endgültige Entscheidung obliegt zwar dem Europäischen Rat, doch dieser soll sich ausdrücklich an die Empfehlung des Parlaments halten.

Politikwechsel durch den Lissaboner Vertrag?

Martin Schulz spricht auf seiner Wahlkampftour durch Deutschland daher oft vom “ersten Kommissionspräsidenten, der demokratisch gewählt wird.” Politikwissenschaftlerin Rehder sieht diese Veränderung positiv. “Dadurch wird das Parlament nochmals aufgewertet.” Trotzdem bleibt die Tatsache, dass die Parlamentarier vergleichsweise wenig Machtbefugnisse haben. Dass die wichtigsten Entscheidungen von 28 Kommissaren hinter verschlossenen Türen getroffen würden, empfindet Schulz als großes Problem und will im Erfolgsfall für mehr Transparenz sorgen. Dr. Rehder glaubt dagegen nicht, dass ein Politikwechsel möglich ist. “Die Einzelperson Martin Schulz kann nicht alleine gegen die institutionellen Dynamiken der EU ankämpfen.”

Kürzlich standen sich die beiden Favoriten in einem TV-Duell gegenüber, ebenfalls ein Novum. Dass die Zuschauer dabei allerdings eher Gemeinsamkeiten als Unterschiede bei den Kontrahenten ausmachen konnten, ist laut Rehder ein weiteres Problem der Europapolitik. “Es geht bei Wahlen im Kern um einen Wettbewerb zwischen Parteien, Juncker und Schulz arbeiten aber schon sehr lange auf europäischer Ebene zusammen, wo die Konsensfindung im Vordergrund steht.” Dass die Parteien den Europawahlkampf für nationale Zwecke nutzten, sei ein weiteres Problem. “Hinzu kommt die generelle Unzufriedenheit der Menschen seit der großen Finanzkrise und dem damit verbundenen Anstieg der Arbeitslosigkeit in vielen Ländern. Auch in Deutschland ist vor allem bei der jungen Generation eine wachsende Politikverdrossenheit festzustellen. All diese Gründe sorgen momentan dafür, dass die rechten Kräfte in ganz Europa immer mehr Oberwasser bekommen.”

Video: Christoph Baade und Axel Schürgels (do1)

Appell für eine hohe Wahlbeteiligung

Dass sich die Strukturen der EU in den kommenden Jahren groß verändern werden, bezweifelt die Politikwissenschaftlerin. “Es ist unwahrscheinlich, dass das Parlament weiter aufgewertet wird.” Auch zunehmende Transparenz sei schwer vorstellbar, da die EU wegen ihrer vielen Institutionen seit jeher an einem Demokratiedefizit leide. Lohnt es sich dann überhaupt, zur Wahl zu gehen? Dr. Rehder gibt hier eine klare Antwort: “Unbedingt! Durch eine hohe Wahlbeteiligung muss verhindert werden, dass rechtsextremistische und rechtspopulistische Kräfte im Europa-Parlament zu viel Einfluss bekommen.” Während aktuelle Umfragen die AfD in Deutschland bei sieben Prozent sehen, wird in Frankreich wohl ein Viertel der Wähler die rechtspopulistische, europafeindliche Partei Front National wählen. Die Partei UKIP könnte trotz eines von Rassismus geprägten Wahlkampfs die stärkste britische Partei im EU-Parlament werden, der Niederländer Geert Wilders von der PVV hetzt offen gegen Marokkaner und kann trotzdem mit einem guten Wahlergebnis rechnen. 

Ein gutes Abschneiden am nächsten Sonntag könnte diesen Parteien auch auf nationaler Ebene nochmals einen Schub geben. Die gemeinsame Botschaft von Schulz und Juncker lautet daher: Unabhängig davon, ob ihr mich oder meinen Kontrahenten wählt, das Wichtigste ist, dass ihr am Sonntag überhaupt das Kreuz bei einer demokratischen, europafreundlichen Partei macht.

Duell am Donnerstag: Gemeinsam haften für Europa?

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DAS-DUELL-Mueller-Kraemer

Lange hat man nichts mehr von ihr gehört, aber zur Wahl des Europa-Parlaments tritt sie zurück auf den Plan: Die Euro-Krise. Jetzt wird auch darüber abgestimmt, welchen Kurs die europäische Reformpolitik nehmen soll. Geht es nach den Sozialdemokraten, würden Schulden in Zukunft vergemeinschaftet. Die Rede ist von einer Bankenunion, von Eurobonds und von einem Schuldentilgungsfonds. (Was das nochmal ist? Eine kurze Erklärung steht unten im blauen Kasten.) Braucht Europa das? Im Spezial-Duell am Donnerstag sind sich zwei TU-Professoren nicht einig: Henrik Müller, Professor für Wirtschaftspolitischen Journalismus, sagt Ja. Walter Krämer, Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik, sieht das ganz anders. 

Ja!

Aber das wäre nur mit einer bundesstaatlichen Ordnung der Euro-Zone möglich. Teile der Bankenunion gibt es schon. Was fehlt ist ein „fiskal backstop“, eine gemeinsame fiskalische Abstützung für die Bankenabwicklung. Was es ebenfalls nicht gibt, ist das, was jeder Föderalstaat hat: eine gemeinsame Schuldenaufnahme und eine gemeinsame Bedienung der Schulden. Diese Schritte hat Europa bisher noch nicht gemacht. Aber die werden kommen müssen, wenn die Währungsunion dauerhaft Bestand haben soll.

Ich halte es für vollkommen illusionär, dass das alle 28 Mitgliedstaaten gemeinsam machen. Die Lösungen werden die Staaten der Eurozone alleine finden müssen.

Das ist für mich auch das große Defizit bei der Europawahl. Es ist schön, dass es die Europawahl gibt, und es ist auch schön, dass das Europaparlament nach dem Lissaboner Vertrag zusätzliche Kompetenzen hat. Aber eigentlich müsste parallel ein Eurozonen-Parlament gewählt werden. Ein eigenes Eurozonen-Parlament würde die Schuldenvergemeinschaftung erst möglich machen – und ohne die wird es nicht gehen. Wir werden auch größere staatliche Budgets auf Eurozonen-Ebene ansiedeln müssen. Das wird aber nur gehen, wenn es ein Eurozonen-Parlament gibt.

Von der Europawahl darf man sich daher nicht zu viel erhoffen. Das Beste ist erstmal der Wahlkampf, so langweilig der zum Teil auch ist. Dass das Thema Europa und eine gewisse Richtungsentscheidung in die Öffentlichkeit getragen werden, ist gut. Wobei mein Kritikpunkt wäre, dass die grundlegenden Weichenstellungen, die eigentlich anstehen, auch in diesem Wahlkampf wieder mal gar nicht thematisiert wurden. Was ist die Eurozone, was ist die EU? Wohin wollen wir uns entwickeln? Wo sind eigentlich die Grenzen Europas, sowohl was die Regelungsdichte als auch die Geografie angeht – das wird überhaupt nicht oder nur ganz am Rande thematisiert. Und vor allem werden diese Fragen von keinem der Kandidaten befriedigend beantwortet – außer von denen, die all das nicht wollen.

 

 

Nein!

Speziell die Eurobonds sind auf jeden Fall der falsche Weg. Das ist wie Freibier auf dem Oktoberfest. Man säuft mehr als man verträgt, hat am Schluss einen dicken Kater und alle sind schlechter dran als vorher. Das ist ein totaler Irrweg, davor kann ich nur warnen.

Die Bankenunion hat Vorteile, ist aber auch insofern schädlich, als dass wiederum Risiken auf beispielsweise die deutschen Sparkassen und Volksbanken abgewälzt werden, die schon seit Jahrzehnten eine gegenseitige Haftung haben. So müssen wieder einmal Wirtschaftsteilnehmer in Deutschland für die Dummheit und das unverantwortliche Verhalten anderer zahlen. Und beim Schuldentilgungsfond kommt es auf die konkrete Ausgestaltung an. Da hat der Sachverständigenrat einige kluge Vorschläge gemacht.

Damit Sie mich nicht missverstehen: Contra Euro heißt nicht contra Europa. Ganz im Gegenteil. Der Euro und die Eurorettungspolitik sind Gift für dieses große Projekt. Der Euro könnte einmal der Totengräber Europas sein und gehört in seiner aktuellen Form schnellstmöglich abgeschafft. Ich sehe das künftige Europa à la Schweiz – viele selbständige Kantone unter einem großen Dach, mit einer gemeinsamen Außenpolitik und einer gemeinsamen Armee. Dann kommt als Krönung eine gemeinsame Währung hinzu. Der Euro kam viel zu früh und macht dieses große Projekt vielleicht unmöglich.

Ich hoffe deshalb, dass die seriösen eurokritischen Parteien viele Stimmen bekommen. Die AfD etwa wird dicke über fünf Prozent erhalten, ich würde sogar sagen, über zehn Prozent. Das wäre ein Schuss vor den Bug all derer Leute, die den Kopf vor unangenehmen Wahrheiten in den Sand stecken. Die nicht sehen wollen, wie tief wir eigentlich in der Misere drinstecken und wie unmöglich es für die aktuellen Krisenländer ist, aus eigener Kraft aus dem aktuellen Schlamassel wieder herauszukommen. Das geht nur dann, wenn etwa Griechenland und Portugal den Euro verlassen. Das ist die einzige Methode, wie wir das Schiff wieder klarbekommen. Wenn diese Botschaft ankommt, dann hat auch die Europawahl einen guten Zweck erfüllt.

 

das-duell-feederFoto: stockxchng/bizior, Montage: Steinborn/Schweigmann , Teaserfoto: 

Europa hat gewählt – das Netz diskutiert

Die Karikatur der Woche : die Europawahl

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Die Europawahl ist vorbei, langsam formiert sich das neue Parlament. Aber konnten die europäischen Bürger wirklich Kommissionspräsidenten wählen? Nein. Die Mitglieder des Parlaments können nur dem Vorschlag des europaïschen Rats zustimmen oder ihn ablehnen.

Dieser Kandidat wird vom europäischen Rat, der sich aus den Staatschefs der 28 EU-Mitglieder zusammensetzt, ernannt. Und dabei gilt Angela Merkel als besonders einflussreich. Die beiden Haupt-Bewerber, Martin Schulz und Jean-Claude Juncker, würden in Brüssel ohnehin in den meisten Fragen zusammenarbeiten und damit Deutschland auf europäischer Ebene wohl kaum behindern. Um ein ganz schlechtes Motto der CSU zu parodieren: “Europäer wissen, wer der Babo ist”.

Demokratie Europa réduit

 

Jede Woche karikiert pflichtlektüre-Autor Pierre Pauma die Aktualität.

 

Dortmunder Nordstadt: Streetworker unterstützt Zuwanderer

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Bewerbungen schreiben, Behördengänge meistern, Arztbesuche ausmachen – Diese Aufgaben gehören zum Job von Mirza Demirovic. Der AWO-Streetworker kümmert sich in der Dortmunder Nordstadt um Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien, deren Zahl sich in der Nordstadt seit 2006 von 95 auf über 3200 erhöht hat. Ein Großteil von ihnen sind Roma, die schon in ihrem Heimatland diskriminiert wurden. Die größten Probleme der Zuwanderer: die Jobsuche und die Sprache. pflichtlektüre-Autor Daniel Schmitz hat Mirza bei einem Gang durch die Nordstadt begleitet und beim Sprachkurs der AWO vorbeigeschaut.

 


Duell: Sinn und Unsinn der Zeitumstellung

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DAS DUELL - Vorlage

Die einen feiern die längste Nacht des Jahres ausgiebig, die anderen verschlafen sie einfach: Von Samstag auf Sonntag werden die Uhren um eine Stunde zurückgestellt. Damit endet die Sommerzeit – zumindest für dieses Jahr. Manch einer mag die geschenkte Stunde genießen. Wenn es nach der CDU geht, soll die Zeitumstellung aber ganz abgeschafft werden. Was bringt uns das Spiel mit der Uhr wirklich?

Ein Gewinn an Lebensqualität
findet Ricarda Dieckmann

Ist es tatsächlich Zeit für eine neue Zeit? Nein! Denn die Vorteile des halbjährlichen Umstellens der Uhr sind mittlerweile so selbstverständlich geworden, dass sie gerne mal übersehen werden. 

Lange Grillabende dank Sommerzeit 

Denn die Sommerzeit erhöht die Lebensqualität in den schönsten Monaten des Jahres enorm. Grund: Durch die Zeitumstellung bleibt es im Sommer abends eine Stunde länger hell. So kann man selbst nach einem langen Tag in der Uni den Abend beim gemeinsamen Grillen im Park oder am See ausklingen lassen. Außerdem wirkt sich die Sommerzeit für Biergarten-Besitzer und Kulturveranstalter äußerst positiv auf die Bilanzen aus. Denn lange, laue Sommerabende bringen mehr Gäste – und spülen damit mehr Geld in die Kassen.  

Tageslicht nutzen, anstatt es zu verschlafen 

Käme es hingegen zu einer Abschaffung der Sommerzeit, ginge die Sonne bereits eine Stunde früher auf – um den längsten Tag des Jahres herum beispielsweise schon gegen Viertel nach vier statt um Viertel nach fünf. Die große Mehrheit der Bevölkerung würde die zusätzliche Stunde Helligkeit also schlichtweg verschlafen. Höchstens extreme Frühaufsteher oder Nachtschwärmer, die auf dem Heimweg gerne in die aufgehende Sonne hineinblinzeln, würden von dem vorverlegten Tagesbeginn profitieren.   

Lieber eine Stunde Helligkeit am Abend draußen nutzen oder sie frühmorgens hinter Schlafzimmer-Vorhängen ungenutzt verstreichen lassen? Die Entscheidung für Ersteres fällt mit einem Blick auf die Auswirkungen, die das Tageslicht auf den menschlichen Körper hat, noch leichter. Sonnenstrahlung regt nämlich die Produktion von Vitamin D an und verursacht die Ausschüttung von Glückshormonen. Ein schöner Nebeneffekt, den man nutzen und nicht verschlafen sollte.  

Abschaffung nur durch EU

„Wer hat an der Uhr gedreht …?“ Dass die Uhren halbjährlich umgestellt werden, kann man in §5 des deutschen Einheiten- und Zeitgesetzes nachlesen. Um die Sommerzeit abzuschaffen, reicht es aber nicht aus, diesen Paragrafen abzuändern. Denn auch bei der Zeitumstellung hat die EU ihre Finger im Spiel: Im Jahr 2001 erließen das Europäische Parlament und der Europäische Rat die verbindliche Richtlinie 2000/84 EG. Darin heißt es: „Da die Mitgliedsstaaten die Bestimmungen über die Sommerzeit anwenden, ist es für das Funktionieren des Binnenmarktes von Bedeutung, dass Tag und Uhrzeit des Beginns und Ende der Sommerzeit weiterhin einheitlich (…) festgelegt werden.“ 

Was das konkret bedeutet? Sinn und Unsinn der Zeitumstellung von der deutschen Politik ausdiskutieren zu lassen, führt zu keiner Änderung, denn einer Abschaffung im Alleingang würde die Richtlinie 2000/84 EG den Riegel vorschieben. Viel eher müsste auf europäischer Ebene ein Konsens stattfinden, an dessen Ende sich die 27 Mitgliedstaaten auf eine Lösung einigen. 

Kurz und plakativ ausgedrückt: stundenlange Diskussionen wegen einer einzigen Stunde. Ganz schnell stellt sich da die Frage, ob es nicht ganz andere Probleme auf der europäischen Agenda gibt, bei denen ein akuterer Handlungsbedarf besteht. Und ja, die gibt es definitiv.

Nichts – im besten Fall
findet Bastian Pietsch

Der Unsinn der Zeitumstellung fängt schon beim Erfinder an: Den Vorschlag zur „Daylight Savings Time“ machte 1895 der Neuseeländer George Vernon Hudson. Und der war nicht etwa Energiewissenschaftler oder ein früher Öko-Aktivist sondern Insektensammler. Kam er nach dem Schichtdienst nach Hause, blieben ihm nur noch die letzten Sonnenstunden für sein Hobby. Seine Idee: Mann könne doch einfach die Uhr im Sommer eine Stunde vor stellen und so bekämen alle mehr Sonnenstunden in ihrer Freizeit – und Hudson mehr Zeit um seine Insektensammlung zu erweitern.

Eine historische Farce

Doch die Einführung der Sommerzeit hat auch einen ernsten Hintergrund: Ist es abends länger hell, nutzen die Menschen weniger künstliches Licht. Das spart Energie. Und so sinnvoll die Zeitumstellung zum Beispiel im Ersten Weltkrieg oder auch nach der Ölkrise in den 70er Jahren vielleicht war, heute ist sie nicht mehr zeitgemäß. Das liegt vor allem an der technologischen Entwicklung.

Heute wird mehr Strom für Fernseher und Computer verbraucht, als für Glühbirnen – Unterhaltung statt einfacher Beleuchtung. Hinzu kommt noch, dass der Marktanteil von stromsparenden LEDs seit Jahren steigt. Der Anteil der Beleuchtung am gesamten Stromverbrauch sinkt damit. Und noch ein Trend nagt am Nutzen der Zeitumstellung: Je attraktiver elektronische Unterhaltung in klimatisierten Zimmern wird, desto weniger Menschen verbringen ihre Sommerabende draußen zwischen Häuserschluchten in der Großstadt. 

K(l)eine Vorteile – große Nachteile

Das Umweltbundesamt geht noch weiter und zweifelt den Nutzen der Zeitumstellung generell an. Denn sie lässt die Sonne nicht nur abends später unter, sondern auch morgens später auf gehen. Das führt zu höheren Heizkosten am Morgen, die die Stromersparnis am Abend aufheben.

Während die Vorteile der Zeitumstellung immer schemenhafter werden, werden die Nachteile zu einem handfesten Problem. Denn jede Zeitumstellung bringt die biologische Uhr durcheinander. Das klingt wie eine Lapalie, hat aber echte und gut erforschte Folgen. Schlafstörungen nehmen zu und die Leistungsfähigkeit verringert sich. Verkehrsunfälle und Herzattacken sind nachgewiesene Folgen. Und: die Zeitumstellung verursacht wirtschaftlichen Schaden. Eine US-amerikanische Studie schätzt die Kosten, die durch die „verlorene Stunde“ im Frühling entstehen, auf rund 434 Milliarden US-Dollar.

Keine erkennbare Logik

Ist es eine gute Idee, in einer global vernetzten Welt die Zeit nationalen Regeln zu unterwerfen – völlig willkürlich? Täglich finden tausendfach internationale Schaltkonferenzen statt. Wer die in einem Unternehmen mit Sitzen in New York, London und Sydney plant, wird durch die Zeitumstellung vermutlich an den Rande des Wahnsinns getrieben: Innerhalb von drei Wochen liegen zwischen New York und London erst 5 dann 4, dann wieder 5 Stunden. Sydney ist 11, 10 oder 9 Stunden von London entfernt und 16, 15 oder 14 Stunden von New York. Als wären die Zeitzonen  nicht ohnehin schon kompliziert genug.

Ganz unabhängig von der Frage, ob die Zeitumstellung nun Strom spart oder kostet, in der Größe des Effekts sind sich Befürworter und Gegner einig: rund ein Prozent. Bei den Stromkosten eines durchschnittlichen Drei-Personen-Haushalts in Deutschland macht das rund 12 Euro im Jahr. Und nochmal: Dieser Effekt wird in Zukunft noch kleiner werden. Eine lächerliche Rechtfertigung, für ein System, das den eigentlich einfachen Blick auf die Uhr unfassbar kompliziert macht.

das-duell-feeder 

Foto: stockxchng/bizior, S. Hofschlaeger/pixelio.de, Montage: Brinkmann/Schweigmann
Teaserfoto: Bastian Pietsch

EU-Kommission will gegen Jugendarbeitslosigkeit kämpfen

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Brüssel. Die neue Europäische Kommission hat am Samstag offiziell ihr Amt angetreten. Eines der größten Ziele ist der Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit in Europa.

Heute nehmen die 27 EU-Kommissare unter Präsident Jean-Claude Juncker die Arbeit auf. Am Mittwoch folgt dann die erste Tagung der EU-Kommissare. Juncker will von Brüssel aus einen “europäischen Neustart” einläuten. Dazu zählt auch der Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit in Mitgliedsstaaten wie Spanien und Portugal. Um das Problem in den Griff zu bekommen, will die Kommission ein 300 Milliarden Euro schweres Investitionspaket bereitstellen. 

In den europäischen Mitgliedsstaaten Spanien und Griechenland ist mehr als jeder zweite 15 bis 24-jährige arbeitslos. In Deutschland sind es 7,8 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Ein weiteres großes Ziel der europäischen Kommission: Neben der Intensivierung des Kampfes gegen Jugendarbeitslosigkeit soll die EU-Bürokratie entschlackt werden. 

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Neue Chance für Wirtschafts-Flüchtlinge

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Spanische AzubisDie jungen Leute in Spanien sind verzweifelt: Sie finden keinen Job. In Deutschland hingegen suchen viele Betriebe händeringend nach Azubis – denn viele deutsche Jugendliche wollen lieber studieren, statt arbeiten. Das Projekt “MobiPro” setzt genau dort an – und holt junge Spanier hierher. Doch auch das ist für viele Firmen keine Lösung.

Ein schmuckes Hotel mitten in der Altstadt von Höxter: Ana Cristina Albarracín deckt im Speisesaal den Tisch ein. Ordentlich legt sie Messer und Gabel neben den Teller und poliert das Rotweinglas bis es glänzt. Im Hintergrund steht Marlene Sievers, die Inhaberin des Hotels. “Sehr gut”, lobt sie und klopft ihrer Auszubildenden herzlich auf die Schulter. “Dann ist für die Gäste ja alles vorbereitet.” – Das Verhältnis zwischen Ana Cristina und ihrer Chefin ist schon besonders. Dabei kennen sie sich erst ein halbes Jahr. Zusammengefunden haben sie, weil Ana Cristina keinen Job fand und Marlene Sievers keinen Azubi für ihr Hotel in Höxter.

2000 Kilometer südlicher, Alicante in Spanien: Ana Cristina hat ihr Tourismus-Studium beendet, einen Auslandsaufenthalt in England absolviert. Einen Job aber findet sie nicht. “100 Bewerbungen habe ich geschrieben. Immer wieder kam eine Absage”, sagt die 26-Jährige. Sie ist kein Einzelfall: Jeder zweite spanische Jugendliche in ihrem Alter ist ohne Arbeit. Ana Cristina hat sich deshalb entschlossen in Deutschland nach einer Ausbildung zu suchen – fernab von Familie und Freunde. Dieser Schritt sei ihr nicht leicht gefallen. “Aber in Spanien habe ich keine Zukunft gesehen.”

Marlene Sievers, Hotelchefin

Marlene Sievers, Chefin des Hotel Niedersachsen in Höxter, erhielt für ihr Engagement den “Deutschen Bürgerpreis”. Fotos (3): Michael Scheppe

Ganz anders ist die Situation in Deutschland: Immer weniger junge Leute wollen direkt nach der Schule arbeiten, für viele geht es erst einmal in den Hörsaal. 2,6 Millionen Studenten gibt es nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in der Republik, 40 Prozent mehr als 2005. Die Kehrseite: Immer mehr Firmen finden keine Auszubildenden mehr.

Auch Marlene Sievers suchte händeringend nach Azubis: “Fast niemand bewirbt sich bei uns”, klagt sie. Elf Azubis wollte Sievers im Sommer einstellen. Geeignete Bewerber gab es kaum. “Vor einigen Jahren war das noch ganz anders.” Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) in NRW kennt den Trend. “Durch den demografischen Wandel gibt es immer weniger potenzielle Auszubildende”, sagt Pressesprecher Thorsten Hellwig.

In der Gastronomie kommen die ungünstigen Arbeiten hinzu: Dort wird gearbeitet, wenn andere feiern. “Das macht den Job unattraktiver”, gibt Marlene Sievers zu. Dennoch: Auf Azubis ist sie angewiesen. Sie suchte deshalb im Ausland einen Ausweg aus dem Dilemma. Auf die Idee kam sie durch das Projekt “MobiPro”. Das initiierte die Bundesregierung, um Jugendlichen aus den krisengebeutelten EU-Staaten in Deutschland eine Ausbildung zu ermöglichen. Das Projekt will zwei Probleme auf einmal lösen: Den Jugendlichen aus Südeuropa soll eine Ausbildung ermöglicht werden, hier in Deutschland, wo immer weniger Leute Azubi sein wollen.

Das 'MobiPro'-Projekt

Im Sommer hat die Spanierin in Höxter ihre Ausbildung begonnen – gemeinsam mit fünf weiteren Landsleuten. Die neue Situation ist für die Südländer eine doppelte Herausforderung: “Sie haben ihr Land für die Ausbildung verlassen und müssen auch noch die deutsche Sprache lernen”, sagt Sievers. Aber auch für sie ist vieles anderes als vorher: “Es ist viel mehr, als nur einen Arbeitsplatz zu vermitteln.”

So mietete sie eigens für ihre Azubis ein Haus. Gemeinsam leben sie dort in einer WG, gemeinsam arbeiten sie in dem Vier-Sterne-Hotel. Arbeit und Privates vermischt sich, auch für Sievers. Im Hotel bringt sie ihren Schützlingen die Kniffe der Gastronomie bei, außerhalb hilft sie ihren Azubis, wo sie nur kann: “Gerade am Anfang habe ich viele organisatorische Aufgaben erledigt, zum Beispiel die Anmeldung bei der Stadt.” Auch bei der Organisation eines Arzttermins oder bei der Mülltrennung ist die Hotelchefin gefragt. “Vieles ist hier anders als in Spanien. Man muss sich deshalb sehr viel Zeit für die Azubis nehmen.” Mit einem deutschen Azubi hätte Marlene Sievers diesen Aufwand nicht gehabt. Ana Cristina ist ihrer Chefin dankbar und fühlt sich in Deutschland so wohl, dass sie überlegt, auch nach der Ausbildung hier zu bleiben:

Als Anerkennung verlieh die Initiative “Deutscher Bürgerpreis” Marlene Sievers einen Ehrenamtspreis. “Dieses Engagement ist die Ausnahme”, sagt Thorsten Hellwig vom Dehoga. “Grundsätzlich sind solche Programme zwar zu begrüßen, aber sie müssen praxistauglich sein. Sprachbarrieren auszuräumen und eine höhere Integrationsverantwortung des Unternehmers für einen spanischen Azubi sind das eine. Wenn aber zudem der bürokratische Aufwand für die Durchführung des Projekts sehr hoch ist, verlieren viele Gastronomen das Interesse.”

In Höxter gibt es das Sprachproblem nicht: Marlene Sievers spricht spanisch. “Das hat viele Dinge tatsächlich viel einfacher gemacht”, sagt die Hotelchefin. Schnell hatte sie einen Draht zu ihren Schützlingen: “Es klingt zwar verrückt. Aber es ist so, als ob ich auf einen Schlag sechs Kinder bekommen hätte.” Sievers will auch im neuen Ausbildungsjahr wieder auf spanische Azubis zurückgreifen. Sechs Plätze hat sie ausgeschrieben. Nur zwei deutsche Bewerber haben sich bislang gemeldet.

 

Der 11.2. ist Europäischer Notruftag

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Die Notrufdienste aus allen Fest- und Mobilfunknetzen sind in der Europäischen Union gebührenfrei unter der einheitlichen Notrufnummer 112 erreichbar. Der jährliche Notruftag der Europäischen Union soll das bekannter machen.

Die 112 gilt nicht nur in allen EU-Mitgliedsländern, sondern mittlerweile auch in vielen anderen Ländern wie der Türkei, der Schweiz, in Serbien, Island, Liechtenstein, Norwegen, Andorra, Monaco, San Marino und auf den Färöer-Inseln.

Der Notruf kann dort seit 2008 ohne Vorwahl von jedem Telefon erreicht werden. Doch das hat sich noch nicht überall herumgesprochen, bisher wissen laut Umfrage 2014 lediglich 41 Prozent der Deutschen Bescheid. In den anderen Ländern sieht es nicht besser aus.

Um die europaweite Notrufnummer bekannter zu machen, haben das Europäische Parlament, der Rat der Europäischen Union und die EU-Kommission bereits im Jahr 2009 den Europäischen Tag des Notrufs eingeführt. Die Wahl fiel auf den 11.Februar, wegen der im Datum enthaltenen Notrufnummer (11.2.).

Weil die Europäer beruflich oder privat immer häufiger in anderen Ländern der EU unterwegs waren, sah die EU bereits Anfang der 90er Handlungsbedarf zur Sicherheit ihrer Bürger. 1991 wurde die 112 zusätzlich zu den nationalen Notrufnummern eingeführt. Seit 1998 ist der Notruf aus allen Netzen gebührenfrei. Um das Auffinden von Unfallopfern zu erleichtern, geben die Telekommunikationsbetreiber Standortinformationen an die Rettungsdienste weiter.

Freihandelsabkommen – Chance oder Risiko?

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ULRIKE SCHMIDT / CAMPACT -  TTIP Flashmob Hamburg - TTIP Flashmob in Hamburg bei einer Wahlkampfveranstaltung der CDU (Fischmarkt, vor der Fischauktionshalle) mit Angela Merkel

Deutschland rebelliert gegen das Freihandelsabkommen – hier in Hamburg. Foto: Ulrike Schmidt

Bei einem Diskussionsabend zum geplanten Freihandelsabkommen in Dortmund glitt das Gesprächsklima auch schon mal in wütende Zwischenrufe ab. Der von der Europa-Union Deutschland organisierte Bürgerdialog wurde trotz des komplexen Themas lebhaft und mit vielen Emotionen ausgetragen.

Von Christoph Peters

„Hören sie doch mit dieser Gehirnwäsche auf!“, ruft eine Frau aus den hinteren Reihen den Rednern aus Wirtschaft und Politik zu. Die Stimmung ist angespannt, die Diskussion emotional. Einige Besucher des Bürgerdialogs können wohl keine konstruktiven Argumente gegen das viel diskutierte Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA finden. Doch es gibt auch Kritiker, die sich sachlich beteiligten, so zum Beispiel zwei Aktivisten der Globalisierungskritiker von Attac. Dass die Publikumsbeteiligung wichtig ist, sieht man auch schon an dem Meinungsbild: sowohl vor als auch nach der Veranstaltung dürfen die Teilnehmer ihre eigene Meinung über TTIP auf einer Skala von „Chance“ bis „Risiko“ festhalten. Zu Beginn ist die Stimmung sehr gemischt.

Wir müssen reden!

Die Europa-Union Deutschland e.V. hatte zu einem weiteren Teil ihrer Bürgerdialogreihe „TTIP: Wir müssen reden!“ eingeladen, dieses Mal in Dortmund. Das Thema: Das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP). Die EU-Kommission verhandelt schon seit 2013 mit Vertretern der US-Regierung. Das Freihandelsabkommen greift in eine Vielzahl an Lebensbereichen ein. Grundlegende Produktstandards und Regulierungsstrukturen sollen angeglichen werden. Kritiker sehen Gefahren für Umweltschutz und heimische Wirtschaftszweige. Und auch die stark kritisierten Schiedsgerichte zum Investorenschutz sind Teil der Verhandlungen. Und das alles für Handelszuwächse und mehr Wirtschaftswachstum.

„In Deutschland wird es kein Chlorhühnchen geben!“

Auch das viel zitierte Chlorhühnchen ist an diesem Abend Thema. CDU-Bundestagsabgeordneter Jürgen Hardt versucht zu beruhigen. „Weder Hormonfleisch noch Chlorhühnchen wird es in Deutschland geben. Auch nicht mit TTIP.“, sagt Hardt in der Diskussionsrunde. Dabei ist das Chlorhühnchen symptomatisch für all jene Bürger, die Angst für einer Überflutung der deutschen Märkte durch qualitativ schlechte Waren haben.

Podiumsdiskussion beim Bürgerdialog in Dortmund. (Foto: Christoph Peters)

Podiumsdiskussion beim Bürgerdialog in Dortmund. (Foto: Christoph Peters)

Hinter verschlossenen Türen

Im letzten Jahr gab es viel Kritik an der Art, wie das TTIP-Abkommen verhandelt wird. Kritiker beklagten das intransparente Vorgehen der EU, einige sahen die Demokratie gefährdet. Es gab Petitionen mit Millionen Unterschriften, tausende Leute gingen auf die Straße. Doch die EU-Kommission versuchte sich an Besserung, stellte Verhandlungstexte dann doch ins Netz. So transparente Verhandlungen wie bisher habe es noch nie bei einem solchen Abkommen gegeben, sagte Lutz Güllner, der selbst für die EU-Kommission mitverhandelt:

 

Erstaunlich jedoch, dass jetzt kaum jemand die Verhandlungstexte auf der Internetseite der EU liest. Die FAZ berichtete vor einigen Wochen, dass die (vorher geheimen) Positionspapiere der EU nur wenige Tausend Klicks über einen Zeitraum von mehreren Monaten aufweisen konnten.

Je mehr Freihandel, desto besser?

Das Freihandelsabkommen soll vor allem Handelshemmnisse wie Schutzzölle zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union abbauen. Schutzzölle sind ein Instrument der Wirtschaftspolitik, um unter anderem bestimmte Wirtschaftszweige vor dem internationalen Wettbewerbsdruck zu schützen. Ohne Schutzzölle könnte zum Beispiel der europäische Bauer nur schwer mit der amerikanischen Großfarm konkurrieren. Mögliche Folgen: Stellenabbau, Insolvenzen, Aussterben der regionalen Landwirtschaft, so beschreibt es Jürgen Maier vom Bündnis TTIP Unfairhandelbar:

 

Doch der Abbau von Handelshemmnissen kann auch beiden Seiten nützen, sowohl die USA als auch die EU würden Milliarden an Gewinnen machen, behaupten zumindest viele TTIP-Studien. Doch wie immer in der Wirtschaftsforschung gibt es verschiedene Rechenmodelle, andere Studien sehen nur geringe positive bis negative Effekte für Deutschland und Europa. Eine Studie des Global Development and Environment Institute aus den USA aus dem letzten Jahr behauptet zum Beispiel, dass TTIP in Deutschland bis zu 130.000 Arbeitsplätze vernichten könnte.

So manch besorgter Bürger fürchtet um seinen eigenen Job. Denn durch TTIP werden viele Unternehmen einem stärkeren Wettbewerb ausgesetzt, und in einem Wettbewerb gibt es auch immer Verlierer. Arndt Kirchhoff, Chef des gleichnamigen multinationalen Automobilzulieferers, sieht die deutsche Wirtschaft hingegen in einer guten Wettbewerbsposition:

 

Und auch kleinere und mittelständische Unternehmer seien seiner Meinung nach im Vorteil durch TTIP: weniger und unkompliziertere Bürokratie für den Warenexport nach Amerika. Er bekennt sich klar zum Freihandel.

Goldrausch in Deutschlands Exportindustrie

Arndt Kirchhoff sieht sogar schon goldene Zeiten für die Automobilindustrie anbrechen. Es sei doch Ressourcenverschwendung, wenn dasselbe Auto aufgrund unterschiedlicher Standards und Normen auf zwei verschiedene Arten produziert werden muss – einmal für den europäischen und einmal für den amerikanischen Markt. Eine zentrale Produktion würde Kosten und Ressourcen sparen, man hätte mehr Mittel für Innovationen und neue Produkte übrig. Und Stellenabbau? Ob die profitierende Industrie dann mit Expansion diese Stellen wieder besetzen wird, bleibt schwer abzuschätzen.

Gerade in Krisenzeiten haben die südeuropäischen Länder Probleme, wettbewerbsfähig zu bleiben. Ob da ein stärkerer Wettbewerbsdruck durch amerikanische Unternehmen sinnvoll ist? Wie soll ein Land wie zum Beispiel Griechenland damit umgehen? Kirchhoffs Antwort: Erst mal Strukturreformen. Aber ein Verhandlungsende ist noch nicht in Sicht, sehr zur Freude von Jürgen Maier vom Bündnis TTIP Unfairhandelbar:

 

Die Sorgen der anderen

Auf dem Meinungsposter durfte am Ende jeder noch einen zweiten, dieses Mal roten Punkt ankleben. Das Meinungsbild: Gemischt. Viel Bewegung schien es nicht gegeben zu haben. Möglicherweise reicht eine knapp dreistündige Veranstaltung nicht aus, den besorgten Bürgern ihre Ängste und Skepsis gegenüber TTIP zu nehmen. Aber: Selbst eine nicht vollständige Diskussion ist in jedem Fall sinnvoller, als die Öffentlichkeit komplett auszuschließen.

Meinungsposter beim Bürgerdialog in Dortmund. Grüne vor, rote Punkte nach der Veranstaltung. Viel Bewegung ist nicht zu erkennen. (Foto: Europa-Union Deutschland)

Meinungsposter beim Bürgerdialog in Dortmund. Grüne vor, rote Punkte nach der Veranstaltung. Viel Bewegung ist nicht zu erkennen. (Foto: Europa-Union Deutschland)

Militäreinsatz: EU beschließt Plan gegen Flüchtingsschleuser

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Die EU hat einen mehrstufigen Militäreinsatz gegen Schlepperbanden von Flüchtlingen beschlossen. Etliche EU-Minister stimmten dem Plan zu, nachdem in mehreren Phasen “beobachtet, durchsucht und ausgeschaltet” werden solle, berichtet das Nachrichtenportal heute.de. 

In drei Phasen will die EU gegen Flüchtlingsschleuser vorgehen. Dem Plan der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini haben die Verteidigungs- und Außenminister der EU-Länder am Montag in Brüssel zugestimmt. Zunächst solle ein besserer Überblick über die Situation gewonnen werden, um dann Schleuserbanden im Rahmen von Marineoperationen gezielt zu durchsuchen und schließlich auszuschalten. Auch Einsätze an Land seien nicht ausgeschlossen. Es solle dabei neben der Rettung von Flüchtlingen aus Seenot zunächst um eine verstärkte Überwachung der Schlepperrouten gehen, berichtet heute.de.  

Besonders rechtliche Fragen müssen noch geklärt werden, bevor das Vorhaben im Juni starten soll. Während die Überwachung rechtlich unbedenklich ist, müssten insbesondere die weiteren Phasen sowie die zuvor angedachte Zerstörung von Schleuserbooten rechtlich abgesichert sein, so einige EU-Diplomaten. Die EU will dafür ein Mandat der Vereinten Nationen erwirken. 

Heute.de berichtet, dass Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen eine Beteiligung der Bundesmarine an der ersten Phase der Operation zugesagt habe. Der Militäreinsatz ist allerdings umstritten. Bundesaußenminister Steinmeier merkte im ZDF an, dass ein Militäreinsatz kein “Allheilmittel” sei: “Die jetzt auf EU-Ebene beschlossene Militärmission gegen Schlepper wird das Flüchtlingsproblem nicht lösen. So dringlich das Flüchtlingsproblem ist, wir müssen auch dem Völkerrecht Rechnung tragen”. 

 

Dobrindt verschiebt Pkw-Maut

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Die EU-Kommission will gegen die deutsche Pkw-Maut rechtlich vorgehen. Verkehrsminister Dobrindt reagiert und verschiebt die auch hierzulande umstrittene Abgabe.

„Mit der Eröffnung eines Vertragsverletzungsverfahrens bremst die EU-Kommission die Umsetzung der Infrastrukturabgabe“, sagte der CSU-Politiker der „Bild“-Zeitung. Man wolle sich rechtsstaatlich verhalten und die Gerichtsentscheidung abwarten, sagte Dobrindt. Ein Start der Pkw-Maut im Laufe des Jahres 2016 sei damit nicht mehr möglich.

Nach einem Bericht der „Welt“ ist es sicher, dass die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten wird. Demnach wird die Kommission zunächst ein Mahnschreiben nach Berlin schicken. Darin werde der Bundesregierung eine zweimonatige Antwortfrist eingeräumt. Das Schreiben solle Deutschland die Möglichkeit geben, die Maut zu korrigieren, zitiert die Zeitung Kommissionskreise.

Update 11.55 Uhr: Der Sprecher von EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc hat via Twitter das Vorgehen der EU-Kommission gegen Deutschland nun offiziell bestätigt.

 


Vor Sondergipfel: Griechenland legt EU-Kommission Liste vor

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Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras hat vor dem EU-Sondergipfel zur Griechenland-Frage Lob bekommen. Die EU-Kommission nannte die in der Nacht aus Athen erhaltene Liste eine “gute Grundlage für Fortschritte”. Am heutigen Montagabend kommen in Brüssel die Staats- und Regierungschefs der Eurozone zusammen.

Die Details der Tsipras-Liste sind noch unbekannt. Griechischen Medie zufolge ist Athen wohl bereit, die Mehrwertsteuer für Hotels und Restaurants zu erhöhen. Zudem könnte es laut ARD-Korrespondent Peter Dahlmeier Zugeständnisse in der Rentenfrage geben. In jüngster Vergangenheit waren die Verhandlungen zwischen Griechenland und dem Rest Europas immer wieder an den Streitpunkten Mehrwertsteuer und Rente gescheitert.

Beim EU-Sondergipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs am heutigen Montagabend soll über eine Lösung im Fall des vom Staatsbankrott bedrohten Griechenland beraten werden. Laut ARD-Informationen diskutieren zuvor die Finanzminister der Währungsunion, ob die angekündigten Lösungsvorschläge ausreichen, um verbliebene Gelder aus dem Ende Juni auslaufenden Hilfsprogramm für das Land auszuzahlen.

Falls keine Fortschritte zu vermelden sein werden, droht Griechenland Ende des Monats die Staatspleite und der damit verbundene Ausschluss aus der Eurozone. Griechenland benötigt ausstehende Finanzhilfen über 7,2 Milliarden Euro und verhandelt seit Monaten mit seinen internationalen Geldgebern über die Bedingungen zur Auszahlung.

 

 

Brüssel einigt sich auf die Abschaffung der Roaming-Gebühren

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Auf das Aus der Roaming-Gebühren, die Handynutzer beim Telefonieren und Surfen in anderen europäischen Länder zahlen müssen, einigten sich gestern Vertreter der EU und des Europaparlaments in Brüssel. Nach einer zwölfstündigen Sitzung teilte dies die lettische Ratspräsidentschaft mit. Als Datum für das Auslaufen der Roaming-Gebühren legten sich die Vertreter auf den 15. Juni 2017 fest. 

Das ist deutlich später als zunächst angekündigt. Das Parlament hatte zuvor eine Abschaffung für Ende 2015 angesetzt. Auch die EU-Komission hatte die Abschaffung bereits für Mitte 2016 anvisiert. Bevor die Gebühren aber komplett wegfallen, sollen zunächst in einem Zwischenschritt – ab dem 30. April 2016 – die Kosten deutlich gesenkt werden. Demnach werden dann Telefonate im EU-Ausland nur noch fünf Cent die Minute kosten (momentan 19 Cent), SMS zwei Cent (derzeit sechs Cent) und beim Surfen darf jedes Megabyte nur noch maximal mit fünf Cent berechnen werden.

Komplett wegfallen werden die Kosten jedoch nie. Wenn Kunden häufiger im im EU-Ausland telefonieren, surfen oder SMS verschicken, dürfen Anbieter die Kosten auf den Kunden abwälzen. Aber nicht in voller Höhe: Wie viele Minuten, SMS oder Megabyte den Reisenden in den fremden Netzen zum Heimatpreis zur Verfügung stehen, ist noch nicht klar – und wird erst demnächst verhandelt. 

Griechenland in den Medien – nervig oder nötig?

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Dorothea Schmitz und Christopher Stolz treten im Kommentar-Duell gegeneinander an.

Der Staatsbankrott Griechenlands ist das bestimmende Thema der vergangenen Monate. Doch ist das gut so oder ist das zumutbare Maß bereits erreicht? Im Duell am Donnerstag diskutieren wir Pro und Contra.

“Eine kurze und wertfreie Darstellung der neusten Entwicklung ist ein Muss”, 

findet Dorothea Schmitz.

Die Frage, ob Griechenland in der Berichterstattung noch notwendig und sinnvoll oder nervig und überflüssig sei, ist selbst nervig und überflüssig. Wir haben heute viele Möglichkeiten zu entscheiden, was wir lesen und was nicht. Leider nutzen aber nur die wenigsten die Vielfalt an potentiellen Quellen. In Deutschland zieht sich durch die Berichterstattung über Griechenland zu einem großen Teil ein einziger roter Faden: Hetze, Pflege fester Rollen und Akteure und die angebliche Faulheit der Griechen.

„Retter“ oder „Lügner“ oder „Punker“: Alle haben eine Rolle zugewiesen bekommen, aus der sie nicht mehr herauskommen. Die Ansichten und Meinungen zu Griechenland stehen fest. Die Medien haben – bewusst oder unbewusst – die Meinung zu Griechenland in Deutschland geprägt und in eine Richtung geleitet, von Anfang an.

Nun stehen wir (vielleicht) kurz vor dem Finale dieser Daily-Soap. Ein Anlass mehr, sich näher mit dem Thema zu beschäftigen, zum Beispiel mit der Berichterstattung zu Griechenland im Ausland. Ein Anlass mehr, Blogs zu lesen und Statistiken, Zahlen, Daten, Fakten zu sammeln und auszuwerten – und mit diesem neuen Wissen die Berichterstattung neu zu betrachten, weiterhin zu verfolgen und neu zu bewerten.

Was bei uns passiert, sollte jeden interessieren

Die Griechen sind Teil der Europäischen Union. Wir sind Teil der Europäischen Union. Wir stehen zusammen, wir wollen den Frieden gewährleisten, den Wohlstand steigern und die kulturelle Vielfalt mehren. Vor allem das mit dem Wohlstand hat nun nicht so gut in Griechenland geklappt. Das weiß mittlerweile wohl jeder. Aber deshalb nun die Berichterstattung der Medien streichen oder meiden?

Wirtschaft und Politik betreffen uns alle, ob wir wollen oder nicht. Bei Stagnation zu denken, Berichterstattung sei nervig und überflüssig, ist falsch. Die Griechen sollen nicht immer zwangsweise die Titelseiten der Zeitungen zieren, aber eine kurze, klare und möglichst wertfreie Darstellung der neusten Entwicklung ist ein Muss!

Selbst ist der Leser

Ich fordere aufmerksames Beobachten der politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in der Welt und in der Nachbarschaft. Ich fordere Interesse an dem möglicherweise ersten Austritt aus der Europäischen Union. Ich fordere Interesse an den betroffenen Menschen. Ich fordere Interesse an den wirtschaftlichen Auswirkungen – und zwar nicht nur, weil wir wissen möchten, ob wir vor unserem Sommerurlaub in Griechenland jetzt doch noch Geld wechseln gehen müssen.

Also: Auch mal über den deutschen-Zeitungs-Tellerrand hinausschauen und nach so vielen Jahren Griechenland in der Berichterstattung neu „erlesen“. Und wer es wirklich überflüssig und nervig findet, kann es einfach „überlesen“.

Griechenland in der Berichterstattung – nervig und überflüssig oder notwendig und sinnvoll. Bis hier gelesen? Frage beantwortet!

 

„Die Berichterstattung überschreitet das zumutbare Maß“,

findet Christopher Stolz.

Wenn ich mich in den vergangenen Wochen und Monaten in meinem Familien- und Freundeskreis umgehört habe, gab es sehr viele verschiedene Sichtweisen auf die Griechenland-Krise. Manche würden einen Ausschluss aus der Eurozone befürworten, andere halten die Bereitstellung weiterer Milliarden für gerechtfertigt. Aber in einem Punkt waren sich alle einig: So langsam reicht es mit den täglichen Meldungen, die sich nicht groß unterscheiden! Zwar ist es die Pflicht der Medienhäuser, sich dem Thema intensiv anzunehmen. Entscheidend allerdings ist das zumutbare Maß, das in der Vergangenheit oft überschritten wurde.

Mit „Vergangenheit“ sind die vergangenen beiden Wochen explizit auszuklammern, da die Schließung Griechenlands Banken und der Sondergipfel des EU-Parlaments seinen Platz in jeder Talkrunde oder auf Seite eins der Tagesblätter verdient hat. Allerdings war auch hier vieles nur Show. Oder ist es wirklich notwendig, dass bei Frank Plasberg ein Live-Reporter alle zehn Minuten gefragt wird, ob es Neuigkeiten aus einem geschlossenen Raum mit EU-Parlamentsmitgliedern gibt?

Mitunter Nicht-Nachrichten

Ohnehin: Nach einigen Wochen müssen mittlerweile doch alle Experten mal in einer Talkrunde zu Wort gekommen sein. Irgendwann ist ein Punkt erreicht, wo den Leser, Zuschauer oder Internetsurfer Meldungen darüber, was der Ministerpräsident oder Finanzminister über die Deutschen denkt, nicht mehr locken.

Es sind mitunter Nicht-Nachrichten, die geschrieben wurden, die sich über Tage hielten. In Wochen, in denen Unglücke in Nordafrika in den Hintergrund rückten. Ist es denn nicht viel wichtiger, in einer Zeit, in der die Flüchtlingspolitik wichtiger ist denn je, diese näher zu beleuchten? Stattdessen zerrissen sich die Menschen die Mäuler über das Bad-Boy-Image des griechischen Finanzministers Varoufakis. Auf einmal wurde der Politiker auf seinem Motorrad fahrend abgelichtet. Warum? Was soll dem deutschen Bürger, der sich vor dem Tatort nur kurz auf den neuesten Stand der Neuigkeiten bringen will, das sagen?

Auf das Mindeste begrenzbar

Es ist wichtig, dass der interessierte deutsche Bürger auf dem Laufenden gehalten wird, doch ist eine Meldung, wenn sie nicht das Gros der Menschen anspricht, auf das Mindeste begrenzbar. Eben dann, wenn die Meldung nicht die wesentlichen Nachrichtenfaktoren anspricht. Vielen Deutschen ist von einer Pleite Griechenlands nicht Bange, wie das ZDF Politbarometer vom 12. Juni zeigt. Deshalb steht die Relevanz oft hinten an. Die Nähe zum Geschehen in Athen und Berlin ist gegeben, allerdings kann von Sensationalismus nicht die Rede sein. Auch der Schaden wäre für den deutschen Staat überschaubar, weshalb dieser Faktor zu vernachlässigen ist. Die Dauer der Berichterstattung spricht ebenfalls klar gegen den Nachrichtenwert einer Meldung, die wenig sensationell ist. Immerhin berichten die Medien in Deutschland bereits seit vor der Bundestagswahl 2009 über einen möglichen „Grexit“.

Informationen auch auf anderem Weg

Eines ist festzuhalten: Die Berichterstattung über Griechenland und seine finanziellen Schwierigkeiten haben ihren Platz in jeder Nachrichtensendung, jedem Internetportal und jeder Zeitung verdient – wenn sie nicht langweilen. Es gibt sicher einen gewissen Teil der Bevölkerung, der jeden Tag über jegliche Form von Neuigkeit informiert werden möchte. Für einen Großteil der Menschen ist das seltener nötig: nur, wenn es eine Meldung ist.

Letztlich wird die Berichterstattung über Griechenland eines Tages zu Ende gehen und andere bankrotte Länder werden in den Fokus der Öffentlichkeit rücken. Es wird den Tag geben, an dem der deutsche Normalbürger aufwacht und erst auf der dritten oder vierten Seite des Wirtschaftsteils die Situation von Griechenlands Ökonomie serviert bekommt. Und das ist auch gut so.

das-duell-feeder

Foto: stockxchng/bizior, S. Hofschlaeger/pixelio.de, Montage: Fehling/Schweigmann 
Teaserfoto: Martin Schulz / flickr.com

Griechenland: Sieg für Nein-Sager

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Mit einem klaren Nein beim Referendum am Sonntag hat das griechische Volk sich gegen die Reformauflagen der EU ausgesprochen. 61,3 Prozent der Griechen bekräftigen laut amtlichem Endergebnis somit das Handeln der Regierung Tsipras, die ein Ende des Spardiktats der EU fordert. Finanzminister Varoufakis hat trotzdem am Montagmorgen seinen Rücktritt erklärt.

In Brüssel will Tsipras jetzt mit „größerer Verhandlungsmacht“ erneut über eine Umstrukturierung der Schulden sprechen. Erste Priorität habe für ihn die Wiedereröffnung der Banken, die seit einer Woche geschlossen sind.

Auf EU-Ebene hatte man vor einem „Nein“ beim Referendum gewarnt. Vizekanzler Sigmar Gabriel sieht kaum noch Chancen auf eine Einigung. Dem „Tagesspiegel“ sagte er, der griechische Regierungschef hätte sein Volk getäuscht und „letzte Brücken eingerissen, über die Europa und Griechenland sich auf einen Kompromiss zubewegen konnten.“

Indes ist der griechische Finanzminister Janis Varoufakis am Montag überraschend zurückgetreten. In seinem Blog schreibt er, dass einige Mitglieder der Euro-Gruppe nicht länger mit ihm zusammenarbeiten wollen. Um möglichen Verhandlungen nicht im Weg zu stehen, zieht er sich aus der Regierung zurück. Mit den EU-Gläubigern geriet Varoufakis mehrfach heftig aneinander. Zuletzt hatte er deren Verhalten als Terrorismus bezeichnet.

Bereits am heutigen Montag trifft sich Angela Merkel mit dem französischen Regierungschef François Hollande zu Beratungen in Paris. Ein EU-Sondergipfel der 19 Euro-Länder ist für Dienstag angesetzt. Frühestens dann könnten die Banken in Griechenland wieder öffnen.

Griechenlandwahl: Syriza in neuem Gewand?

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Nach dem Sieg des Linksbündnisses Syriza bei den vorgezogenen Neuwahlen in Griechenland ist der alte und neue Ministerpräsident Alexis Tsipras als Regierungschef vereidigt worden. Erneut soll eine Koalition mit der rechtspopulistischen Partei Anel die Regierung stellen. Und erneut steht die Staatsspitze vor Herausforderungen, die ganz Europa betreffen.

Prognosen hatten ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Tsipras und seinem konservativen Konkurrenten Vangelis Meimarakis, Chef der Nea Dimokratia, vorausgesagt. Das Ergebnis war letztlich deutlicher als erwartet: 

Griechenland Wahl

Nach der ersten Wahl im Januar und dem Referendum im Juli war dies bereits die dritte landesweite Abstimmung in diesem Jahr. Grund für die Neuwahlen war Tsipras’ Zugeständnis an die EU. Obwohl sich ein Großteil der Griechen gegen weitere Sparmaßnahmen der EU ausgesprochen hatte, akzeptierte der Präsident ein weiteres Hilfspaket. Dies führte zu Spannungen innerhalb der Partei: Der linke Flügel um den parlamentarischen Geschäftsführer Panagiotis Lafazanis warf Tsipras vor, er würde die Parteiideologie nicht mehr vertreten. Ende August spaltete sich dieser Teil von Syriza ab und gründete die neue Partei Volkseinheit (LAE). Präsident Tsipras trat zurück und zog mit einer umsortierten Partei gegen die ehemaligen Parteikollegen in den Wahlkampf. Die LAE scheiterte schon an der Drei-Prozent-Hürde, die für den Einzug ins Parlament notwendig ist.

Die EU als Sündenbock

Auffällig: Unabhängig von ihrer politischen Position machen europäische Abgeordnete vor allem die EU für den Ausgang der Wahl verantwortlich, sei es für die geringe Wahlbeteiligung oder für Tsipras’ Sieg gegen die “Meinungsmacher” der institutionellen Eliten.

 

Tatsächlich ist die Wahlbeteiligung von 56,2 Prozent für griechische Verhältnisse auf einem Tiefstand. Elmar Winters-Ohle, Griechenland-Wissenschaftler und Akademischer Direktor der TU Dortmund im Ruhestand, führt das auf die Resignation in Teilen der Bevölkerung zurück. “Es ist ein kollektives Schulterzucken“, sagt Winters-Ohle. „Die Leute sehen keine Alternativen und denken: ‘Egal, wer regiert, wir werden immer leiden’.” 

Wenn die Regierung nach dieser turbulenten Zeit aus den gleichen Parteien besteht – ändert sich dann überhaupt etwas? Winters-Ohle plädiert für Nachsicht. “In Deutschland und der EU haben die Regierungen 100 Tage Karenzzeit; von der Syriza-Regierung wurde dagegen direkt erwartet, Gesetze innerhalb von drei Tagen durchzupreschen. Jetzt haben sie endlich Zeit aufzuräumen.” Wichtig sei nun vor allem mehr Selbstbestimmung für Griechenland. “Die Regierung ist demokratisch gewählt, so wie jede andere in Europa auch“, sagt der Griechenland-Experte. „Es wird Zeit, dass die EU Griechenland als gleichberechtigten Partner ansieht.” 

Neue Wahlen, neue Ausrichtung

Syriza selbst sieht sich nach der Abspaltung der Volkseinheit als neue Partei. Stelios Kouluglou, Syriza-Mitglied und Abgeordneter im Europäischen Parlament, spricht in einem Interview mit der Wirtschaftswoche von “dramatischen Veränderungen“. Die Partei wolle moderater auftreten und in erster Linie politische Stabilität bewirken. So lasse sich auch das Bündnis mit den Rechtspopulisten von Anel erklären. In Bezug auf die Spar-Vorhaben der Europäischen Union zeigen sich beide Parteien gemäßigt. Fragwürdig ist dagegen, wie die Parteien ihre stark gegensätzliche Haltung zum Zustrom Geflüchteter auf den Umschlagplätzen Lesbos und Kos regeln wollen.

 

Beitragsbilder: Susanne Romanowski
Titel- und Teaserbild: flickr.com/altraeuropa

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